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EU-Kommission wegen Patentkonsultation für Negativ-Lobbypreis
nominiert
Das EU-Binnenmarktkommissariat steht bei der Kür des "Worst EU
Lobbying Award" aufgrund vermuteter Manipulationen rund um ihre
umstrittene Umfrage zur Zukunft des Patentsystems zur Wahl. Mit dem
Negativpreis soll einerseits auf besonders irreführende,
scheinheilige und unverantwortliche Lobbying-Kampagnen hingeweisen
werden. Anderseits stehen auch EU-Einrichtungen oder -Politiker am
Pranger, die ihre Ohren einseitig einzelnen Interessensgruppen etwa aus
der Industrie geöffnet und so das Allgemeinwohl aus den Augen
verloren haben sollen. In der zweiten Kategorie ist die Brüsseler
Behörde nominiert worden, weil sei bei der Konsultation "über
die Zukunft von Softwarepatenten" mit gezinkten Karten gespielt haben
soll.
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Die Ausrichter des noch jungen Preises, zu denen etwa das Corporate
Europe Observatory oder die deutsche Gruppierung Lobbycontrol
gehören, beklagen im Nominierungstext, dass Binnenmarktkommissar
Charlie McCreevy trotz der klaren Zurückweisung von
Softwarepatenten durch das EU-Parlament das Thema des gewerblichen
Rechtsschutzes für "computerimplementierte Erfindungen" mit seinem
"letzten Anlauf" für ein Gemeinschaftspatent und der gleichzeitig
ausgelösten Debatte über eine einheitliche
Streitgerichtsbarkeit in Patentfragen erneut auf die Agenda gehoben
habe. Viele Beobachter würden fürchten, dass etwa ein
entsprechendes Übereinkommen in Form des European Patent
Litigation Agreement (EPLA) "faktisch Softwarepatente legalisieren
wird".
Darüber hinaus habe die Brüsseler Behörde nach der
Durchführung der eigentlichen Umfrage noch einmal rund 600 kleine
und mittelständische Firmen um ihre Meinung gebeten, heißt
es in der Nominierung weiter. Laut Softwarepatentgegnern sei es darum
gegangen, Unterstützung für das EPLA zu bekommen,
während die eigenen Stellungnahmen ignoriert oder lächerlich
gemacht worden seien. Bei der Anhörung im Rahmen der Konsultation
in Brüssel sei zudem einer "Microsoft-gestützten
Lobbyvereinigung mit Sitz in den USA" der Vorzug gegeben worden. Die
Mittelstandsvereinigung patentfrei.de hat inzwischen auch eine
Beschwerde (PDF-Datei) im Rahmen der Europäischen
Transparenzinitiative eingereicht, in der sie auf zahlreiche
Mängel bei der Durchführung der Patentumfrage hinweist.
Für die Auszeichnung wurden ansonsten etwa Industriekommissar
Günter Verheugen wegen einseitiger Besetzung der Expertenrunde
"Cars 21" oder die österreichische und die finnische
EU-Ratspräsidentschaft wegen der Organisation einer Veranstaltung
zur Biotechnologie ohne Einladung von Umweltschützern
vorgeschlagen. Auf Unternehmensseite sind unter anderem der
Ölgigant Exxon Mobil aufgrund der Förderung von Studien von
Skeptikern des Klimawandels und erneut die Chemie-Lobby CEFIC im
Rennen. Auch die PR-Agentur Weber Shandwick mit ihrem Brüsseler
Büro ist nominiert, und zwar aufgrund einer angeblich
unabhängigen Anti-Krebskampagne, die laut Medienberichten allein
vom Pharmariesen Roche finanziert wird. Abstimmen können Surfer
online bis zum 1. Dezember.
Im vergangenen Jahr erhielt den damals erstmals vergebenen Negativpreis
die Campaign for Creativity, die sich für Softwarepatente stark
machte und von Unternehmen wie SAP, Microsoft und Wibu-Systems
gefördert wurde. Das nicht immer ganz faire Lobbying rund um
Softwarepatente geht in Brüssel derweil weiter. So hat Nokia
auserwählte Mitarbeiter von EU-Abgeordneten für den kommenden
Donnerstag zu einer Informationsveranstaltung über "Patente und
Innovation", gefolgt von einem "informellen Cocktail-Empfang",
eingeladen. Als Hauptsprecherin ist mit Sharon Bowles eine liberale
Parlamentarierin angekündigt. Die Patentanwältin machte sich
jüngst für eine das EPLA unterstützende Resolution
stark, die die Mehrheit der Abgeordneten aber letztlich inhaltlich mehr
oder weniger umdrehte und so dem geplanten Abkommen deutliche Skepsis
entgegenbrachte. Außen vorhalten will der Handyhersteller aber
anscheinend Assistenten von Volksvertretern, die immer wieder gegen
Softwarepatente Position beziehen. So monierte die grüne
EU-Parlamentarierin Eva Lichtenberger gegenüber heise online, dass
ihre Mitarbeiterin keine Einladung erhalten habe. Für die
Österreicherin ist damit klar: "Die wollen keine kritischen
Stimmen".
Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente
und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter
Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit
Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf
heise online und zu den aktuellen Meldungen):