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EU-Lobbyisten scheuen das Licht
von Jean Shaoul , 28.10.2006 -
bisherige Aufrufe: 404
leihbeamte.jpgNach der klaren Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich
und Holland ist es angebracht, einen Blick auf eine Diskussion zu
werfen, die den zutiefst undemokratischen Charakter der
Europäischen Union enthüllt. Sie zeigt die EU als Eldorado
der kapitalistischen Selbstbereicherung und als einen Vorposten im
Krieg gegen die Arbeiterklasse.
Siim Kallas, der EU-Kommissar für Verwaltung, Audit und
Betrugsbekämpfung, kündigte im März die Vorbereitung
einer europäischen Transparenz-Initiative an. Er werde unter
anderem dafür sorgen, dass die europäischen Berufslobbyisten
offen legen müssten, auf welchem Gebiet sie arbeiteten und wer
ihre Auftrags- und Geldgeber seien.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen.
Schließlich sind die Zeitungen voll von Appellen für mehr
Transparenz und Rechenschaft im "bürokratischen" und
"ineffektiven" öffentlichen Sektor.
Wie Kallas in einer Rede vor der European Foundation for Management an
der Nottingham Business School erklärte, gibt es in Brüssel
nicht weniger als 15.000 Lobbyisten, und etwa 2.600 Interessengruppen
unterhalten dort ein permanentes Büro. Nach seiner Schätzung
wirft die Lobbytätigkeit etwa 60-90 Millionen Euro an
jährlichen Einnahmen für diese Lobbyisten ab. Weil die
Lobbytätigkeit jedoch weder festen Regeln noch einer
obligatorischen Anmeldung unterliegt, weiß das niemand so genau.
Ähnlich verhält es sich mit den NGOs
(Nicht-Regierungs-Organisationen), die meist von öffentlichen
Geldern abhängig sind: Auch sie lassen selten erkennen, welche
Interessen sie wirklich vertreten. Kallas gab zu, dass die
EU-Kommission mehr als zwei Milliarden Euro über die NGOs
"für gute Zwecke", über die sie nicht genau Bescheid
weiß, in die sogenannten Entwicklungsländer schleust.
Kallas wies darauf hin, dass einige NGOs auf ihren Abrechnungen
über erhaltene EU-Gelder als eine ihrer Haupttätigkeiten
"Lobbyarbeit bei der Kommission" angeben. "Oder anders gesagt",
erklärte er seinen Zuhörern in der Nottingham Business
School, "finanziert die Kommission Lobbyisten, damit sie durch
Lobbyarbeit unter Druck gesetzt wird".
Aber wer genau sind diese Lobbyisten? Um welche Anliegen geht es ihnen?
Die Organisation Corporate Europe Observatory (CEO), eine
Forschungsgruppe in Amsterdam, hat einen faszinierenden Bericht im Stil
der Reiseführer von Lonely Planet veröffentlicht: einen
Leitfaden in die Welt der Wirtschaftslobbyisten vom Quartier
Léopold, dem vier Quadratkilometer großen Brüsseler
Stadtviertel, in dem die EU angesiedelt ist
(http://www.corporateeurope.org/brussels_large.html). Es ist eine Welt,
die dem Normalsterblichen weitgehend unbekannt ist.
Die EU - ein fruchtbarer Boden für Lobbyisten
Seit den 1990er Jahren wurde praktisch das ganze Viertel umgebaut, um
den Bedürfnissen der EU-Bürokraten und ihrer Entourage aus
Lobbyisten, Beratern und politischen Interessenvertretern Genüge
zu tun. Dort arbeiten heute über 85.000 Menschen. In dem einstigen
Wohngebiet wohnen nur noch 15.000 Menschen, die meisten von ihnen
hochbezahlte Eurokraten.
Das liegt daran, dass die komplexen Entscheidungsstrukturen der EU, die
eine Beteiligung der Öffentlichkeit von vorneherein
ausschließen, Wirtschaftslobbyisten wie Pilze aus dem Boden
schießen lassen.
Mit über tausend Lobbygruppen und Hunderten ihnen zuarbeitenden
Firmen für Werbung, Finanzierung und juristische Beratung,
Dutzenden Think-Tanks der Konzerne wie auch Hunderten
Unternehmenszweigstellen für EU-Arbeit kann Brüssel heute mit
Washington um den Titel der Lobbyhauptstadt der Welt konkurrieren.
Laut der CEO in Amsterdam vertreten siebzig Prozent der 15.000
Lobbyisten große Wirtschaftsunternehmen. Jede nur vorstellbare
Wirtschaftsgruppe oder Branche hat ihre eigene Lobbygruppe. Zwanzig
Prozent bestehen aus NGOs, darunter Gewerkschaften,
Gesundheitsorganisationen, Umweltgruppen, etc. Zehn Prozent
repräsentieren die Interessen von Regionen, Städten und
internationalen Gesellschaften.
Eine einzige der großen Gruppen, Hill & Knowlton,
beschäftigt in Brüssel wahrscheinlich mehr Menschen als alle
sozialen und Umweltgruppen zusammen. Sie wirbt als bezahlte Lobby
für alle Handelsgesellschaften und großen Konzerne, die es
sich leisten können.
Ihr wichtigstes Zielobjekt ist die EU-Kommission, denn nur die
Kommission kann neue Gesetze entwickeln und sie dem Europaparlament
vorschlagen.
Ein weiterer wichtiger Ansprechpartner ist der Ministerrat, der -
hinter geschlossenen Türen - das letzte Wort zu allen
Vorschlägen der Kommission hat, wobei neunzig Prozent der
Entscheidungen vom Komitee der ständigen Vertreter, bestehend aus
den EU-Botschaftern der Mitgliedstaaten, getroffen werden, noch bevor
sich die Minister versammeln.
Seitdem der Einfluss des Europaparlamentes ansteigt, ist in letzter
Zeit auch dieses zu einem Anziehungspunkt für Lobbyisten geworden.
Und zwar in einem Ausmaß, dass sich die Society of European
Affairs Professionals (SEAP) [die Interessenvertretung der Lobbyisten
in Brüssel] im März 2004 in einem Brief an den
Präsidenten des Europaparlaments beschwerte, es seien nicht genug
Sitze und Kopfhörer für die Lobbyisten eingeplant. Fast 5.000
akkreditierte Lobbyisten haben mit einem Generalpass Zugang zu
sämtlichen Parlamentsgebäuden. Straßburg ist zwar
offizieller Sitz, aber auch in Brüssel gibt es riesige
Parlamentsgebäude.
Der ganze Parlamentsbetrieb ist beim Entwurf von Resolutionen und
Zusatzanträgen derart in die Abhängigkeit der Lobbyisten
geraten, dass Chris Davies, ein liberal-demokratischer
Europaparlamentarier, bei einem Einführungskurs für
Lobbyisten erklärte: "Ich brauche Lobbyisten. Ich bin von den
Lobbyisten abhängig." Eine Vorstellung davon, in welche Schieflage
die gesamte politische Kultur schon geraten ist, kann man gewinnen,
wenn man die Einschätzung von Davies’ Rede im Bericht der
Amsterdamer CEO liest: "Wegen des Arbeitsdrucks und der
Komplexität der im Europaparlament anstehenden Fragen,
erklärte Davies, sei er sehr daran interessiert, aus der Industrie
spezielle Änderungsvorschläge zu den Gesetzentwürfen zu
erhalten. Davies legt
diese Änderungsvorschläge dem Europaparlament jeweils zur
Abstimmung vor, und viele von ihnen werden EU-Gesetz."
Ein verbreitetes Phänomen ist die "Karriere-Drehtür", durch
die Europaparlamentarier und Eurokraten auf lukrative Posten in der
Brüsseler Lobbyindustrie wechseln. Ein berüchtigtes Beispiel
ist der Engländer Sir Leon Brittan, der ehemalige
Handelskommissar. Er wurde Consultant für WTO-Fragen bei der
Anwaltskanzlei Herbert Smith, Vizevorsitzender der Investmentbank UBS
Warburg, beratender Direktor von Unilever und Vorsitzender des
LOTIS-Komitees für International Financial Services London (IFSL),
eine Lobbygruppe, die die britische Finanzwirtschaft vertritt.
Die CEO nennt als weiteres Beispiel den Briten Nick Clegg, einen
liberal-demokratischen Europaabgeordneten, der letztes Jahr in die
Brüsseler PR und Lobbyfirma GPlus Europe wechselte. Sie berichtet
auch, dass der Labour-Europapolitiker David Bowe, der seinen
Abgeordnetensitz im Juni 2004 verlor, eine Annonce in der Zeitung
European Voice aufgab, dass er eine Beratertätigkeit suche. Er
schrieb: "Alle Offerten werden in Betracht gezogen."
Die Lobbyisten
Die CEO nennt eine Vielzahl verschiedener Lobbystrategien, die von der
Firma Kimmons & Kimmons als Bestandteil eines Trainingskurses
angeführt werden. Eine interessante Lektüre.
"Kampfhubschrauber" nennt sich eine aggressive Lobbytaktik, die auch
Drohungen mit Standortverlagerung beinhaltet, wenn Politikvorhaben
nicht fallengelassen werden, und die nur als letztes Mittel zur
Anwendung kommen soll.
"Kofi Annan" - auch "Trojanisches Pferd" oder konstruktives Engagement
- bezeichnet eine Taktik, bei der man den Regierungen einen beidseitig
annehmbaren Kompromiss vorschlägt.
"Guter Cop - schlechter Cop" ist eine Taktik, bei der ein Konzern, bzw.
eine Gruppe eine harte Linie fährt, während eine andere einen
"konstruktiven Kompromissvorschlag" macht.
"Zahnarzt" heißt ein Vorgehen, bei dem ein Konzern oder eine
Gruppe, der ein bestimmtes Gesetz nicht passt, zuerst "den schlimmsten
Zahn zieht", um sich den Rest später vorzunehmen.
"Dritte Partei" bedeutet Zusammenarbeit mit NGOs und Gewerkschaften, um
in einer umstrittenen Sache einen Kompromiss zu finden.
"Esel" bezeichnet eine kombinierte Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie,
durch die man Personen gewinnen will, die bei Entscheidungen eine
Schlüsselrolle spielen. Da das Unternehmen behauptet, solche
Strategien würden "normalerweise" vor Verführung und offener
Bestechung Halt machen, muss man davon ausgehen, dass auch diese
öfters zur Anwendung kommen.
Eine der größten Wirtschaftsverbände ist UNICE, der
europäische Unternehmerverband. Er tritt, wen kann das
überraschen, für einen "flexiblen" Arbeitsmarkt innerhalb des
Binnenmarkts ein, der von allen physischen, technischen, steuerlichen
und sozialen "Verzerrungen" so frei wie möglich ist.
UNICE produziert detaillierte Analysen und Kommentare über
praktisch alle politischen Initiativen, die von Brüssel ausgehen.
Er betreibt Lobbytätigkeit nicht nur in Brüssel, sondern
durch seine nationalen Mitgliederverbände auch bei den Regierungen
der 25 EU-Staaten. Er fordert einen Stopp für alle neuen sozialen
Initiativen, und zwar so lange, bis die EU der konkurrenzfähigste
Wirtschaftsraum weltweit ist.
Laut der CEO hat UNICE in Brüssel Büros gemietet, die
unmittelbar gegenüber der stramm wirtschaftsfreundlichen
Generaldirektion für den Binnenmarkt liegen. Hier residierte bis
zum letzten Herbst Fritz Bolkestein, der den Versuch unternahm, durch
seine Richtlinie für Dienstleistungen im Binnenmarkt, bekannt als
"Bolkestein-Direktive", den öffentlichen Dienst zu liberalisieren
und für die Konzerne zu öffnen. Diese Richtlinie wurde zwar
infolge weitverbreiteter öffentlicher Opposition
zurückgezogen, aber es ist unwahrscheinlich, dass ihre Revision
etwas wesentlich Neues ergeben wird.
UNICE warb gemeinsam mit dem Europäischen Runden Tisch der
Industriellen an führender Stelle dafür, die
"Konkurrenzfähigkeit" zum obersten Ziel der EU zu machen. Dies
gelang ihnen im März 2000, als das Lissabonprogramm die
Konkurrenzfähigkeit als zentrales EU-Ziel festschrieb, dem alle
anderen politischen Bereiche untergeordnet werden müssen. Zu
diesem Zweck setzte sich UNICE erfolgreich dafür ein, dass ab
Frühjahr 2004 sämtliche bestehenden und neuen
EU-Maßnahmen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft
überprüft werden. Dies bedeutet, dass es unmöglich wird,
politische Maßnahmen einzuführen, die der Wirtschaft mehr
Kosten als Gewinn auferlegen - wie dies in Großbritannien bereits
der Fall ist.
Jose Manuel Barroso hat erklärt, für ihn werde das Programm
von Lissabon während seiner ganzen
Kommissions-Präsidentschaft oberste Priorität haben.
Alle großen multinationalen Konzerne und Gesellschaften haben
einen Sitz im Quartier Léopold. Boeing und Airbus haben ihr
Büro für EU-Angelegenheiten am Rond-Point-Schuman - einer
idealen Adresse, um ihr Interesse nach globaler Vorherrschaft über
die Luftfahrtindustrie immer wieder bei der Europäischen
Kommission und dem Europarat geltend zu machen.
Unter den lautstärksten Lobbyisten befindet sich die
Chemieindustrie, auf deren Konto die vielleicht skandalöseste
Lobbytätigkeit der ganzen EU-Geschichte geht. Bis zu 99 Prozent
aller in der EU verkauften Chemikalien mussten sich nie einer
offiziellen Umwelt- oder Gesundheitsprüfung unterziehen.
Laut CEO hat sich der deutsche Chemieriese BASF, der sein eigenes
Lobbybüro in Brüssel unterhält, an die Spitze des
Chemieindustrieverbands CEFIC gestellt. CEFIC führt mit
Unterstützung der Bush-Regierung eine Kampagne gegen die Versuche
der EU, mittels ihrer Abteilung REACH (Registrierung, Bewertung und
Zulassung chemischer Stoffe) toxische Chemikalien zu kontrollieren.
BASF steckte Millionen Euro in die Lobbyarbeit und in Medienkampagnen,
um diesen Vorschlag hinauszuzögern oder zu verwässern.
Angeführt von BASF argumentierte CEFIC, das REACH-System
beeinträchtige die "Konkurrenzfähigkeit" und das EU-Ziel von
Lissabon, bis zum Jahr 2010 zum weltstärksten Wirtschaftsblock zu
werden.
Von der Wirtschaft finanzierte Beraterstudien haben stark
übertriebene Schätzungen präsentiert, welche Kosten auf
die Wirtschaft zu kommen würden, und wie viele Arbeitsplätze
durch REACH verloren gingen. Die Chemieindustrie hatte bald die
britische, deutsche und französische Regierung auf ihrer Seite und
erreichte, dass die REACH-Vorschläge wesentlich verwässert
wurden.
Die CEO geht auch auf die Aktivitäten einer Lobbyfirma,
Burson-Marsteller, ein, die Büros in der Avenue de Cortenburgh
unterhält. Es handelt sich um eine der umstrittensten PR-Firmen
der Welt, zu deren Klienten in jüngster Zeit auch Achmed
Tschalabis irakischer Nationalkongress, das diktatorische Regime von
Burma und die saudische Königsfamilie gehört haben. Sie
beschäftigt 45 Angestellte, von denen einige sogenannte
"Frontorganisationen" für Konzernkunden unterhalten.
Ein Beispiel dafür ist das Bromine Science and Environmental Forum
(BSEF), eine wirtschaftliche Frontgruppe, die von Burson-Marsteller
für die vier größten Brom-Hersteller der Welt -
US-amerikanische, israelische und japanische Chemiekonzerne - ins Leben
gerufen wurde. Diese Konzerne wollen ein Verbot von Brom zu Fall
bringen, das in feuerhemmenden Stoffen Verwendung findet und
ernstzunehmende Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt hat. Sobald
mehrere europäische Länder begannen, die Anwendung von
Brom-Brandschutz einzuschränken und ein EU-weites Verbot einiger
solcher Produkte ins Gespräch zu bringen, engagierten sie
Burson-Marsteller
Die BSEF bezahlte Forschungen, die behaupten, Brom-Stoffe würden
zu einer Verminderung von Bränden beitragen und dadurch die Umwelt
von Giftstoffen entlasten. Im Mai 2003 drohten ihre Anwälte in
einem Schreiben an die Medien: Unsere Klienten "werden nicht
zögern, alle ihnen verfügbaren Mittel anzuwenden, sollten
irgendwelche inkorrekten oder ungenauen Statements bezüglich der
BFRs [Brom-Feuerverzögerer] veröffentlicht werden, die die
Geschäftsinteressen unserer Kunden negativ tangieren." Letztes
Jahr verhinderte die EU das Verbot einer bestimmten Brom-Art.
Ein Blick auf die Karriere des Bürochefs von Burson-Marsteller in
Brüssel, David Earnshaw, zeigt die Verbindungen zwischen den
Lobbyisten, der Wirtschaft, den NGOs (von denen einige selbst
große Unternehmen sind) und der EU. Earnshaw hatte früher im
Brüsseler Oxfam-Büro gearbeitet, und davor hatte er die
Kampagne einer Wirtschaftslobby für die EU-Richtlinie über
Patentierung von Leben geleitet.
Eine andere mächtige Gruppe ist die Biotech-Lobby, zu der die
European Seeds Association (ESA) und EuropaBio, eine Dachorganisation
für den gesamten Sektor, gehören. Vier der
weltgrößten Agrarkonzerne und biotechnischen Unternehmen -
Monsanto, Syngenta, Pioneer (Du Pont) und Bayer - sind Mitglied beider
Gruppen und unterhalten gleichzeitig eigene Büros.
ESA strebt an, die EU-Saatgut-Richtlinie abzumildern, die Kennzeichnung
und Grenzwerte für genetisch modifiziertes Saatgut bestimmt. Nach
anfänglichen Erfolgen bei der Durchsetzung der angestrebten
politischen Ziele war die Biotech-Industrie mit einer Gegenreaktion der
Konsumenten und der Blockierung neuer Produkte durch nationale
Regierungen konfrontiert. Zur Zeit hat die Industrie nach bitteren und
teuren Kampagnen gegen Umweltgruppen wieder mehrere wichtige
Vorschläge bei der EU eingebracht, einmal über die
"Koexistenz" gen-veränderter und konventioneller, organischer
Landwirtschaft, und zum andern über die Saatgut-Richtlinie, die
den Rahmen bestimmt, in dem eine Kennzeichnung für genetisch
verändertes Saatgut Pflicht wird.
Neben Wirtschaftsverbänden tummeln sich auch
Konzern-Beratergremien. Einer der bekanntesten Think Tanks mit Sitz in
Brüssel ist das Zentrum für Europäische Politik
(European Policy Centre). Dieses von der Wirtschaft finanzierte Gremium
versorgt die Medien mit Experten, die jederzeit in der Lage sind, die
jüngsten Entwicklungen in der EU ad hoc zu kommentieren.
Ein weiteres Gremium ist das finanziell gut ausgestattete Zentrum
für das Neue Europa (CNE), das der aggressiv rechtsstehenden,
amerikanischen Heritage Foundation und dem Institut für
konkurrenzfähige Unternehmen (Competitive Enterprise Institute)
nachgebildet ist. Als fanatischer Verfechter der freien Marktwirtschaft
verfolgt das Zentrum das Ziel, alles zu privatisieren. Es greift die
Umweltpolitik der EU an, von der es behauptet, sie gründe sich auf
"Schrottwissenschaft".
TechCentralStation, ein rechter Think Tank, unterhält eine
Website, die von Microsoft, Exxon und McDonalds gesponsert wird und
Artikel enthält, die von amerikanischen und europäischen
Rechten geschrieben sind und jeden fortschrittlichen Gesetzentwurf
schlecht machen.
Während solche Organisationen früher als Randerscheinungen
galten, gehören sie heute mehr und mehr zum Mainstream. So
organisiert TechCentralStation zum Beispiel Konferenzen gemeinsam mit
der christdemokratischen Fraktion im Europaparlament.
Andere Konzernberatergremien sind die Freunde Europas (Friends of
Europe), das Forum Europa (Forum Europe) und die Neue
Verteidigungsagenda (New Defence Agenda). Letztere ist Teil des
wachsenden militär-industriellen Komplexes in Brüssel. Die
Gruppe, die im Jahr 2003 gegründet wurde, wird von
Waffenproduzenten wie Lockheed Martin und BAE Systems finanziert, um
höhere europäische Ausgaben für das Militär zu
erreichen. Andere Lobbygruppen für die Waffenindustrie sind unter
anderem die European Association of Aerospace Industries (AECMA) und
die European Defence Industries Group (EDIG).
Die Waffenindustrie bezieht sich ebenfalls auf das Programm von
Lissabon und die Konkurrenzfähigkeit und wirbt für eine
Steigerung der aktuellen Verteidigungsausgaben in der EU. Die
EU-Verteidigungsausgaben betragen zur Zeit etwa drei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts, im Vergleich zu sechs Prozent in den USA.
Die Reaktion der Lobbyisten
Kommissar Kallas’ schüchterner Vorstoß für mehr
Transparenz der Lobbytätigkeit - wie er sagte, sind all seine
Vorschläge offen für Diskussion - hat einen wütenden
Entrüstungssturm von Seiten der verschiedenen Gruppen provoziert,
die ins Visier seiner Transparenz-Initiative geraten könnten. Sie
lehnen seinen Vorschlag ab und reden dafür der Selbstregulierung,
einem freiwilligen Verhaltenscodex und der "gesellschaftlichen
Verantwortung der Wirtschaft" das Wort.
Ein UNICE-Sprecher kommentierte: "Vorschläge, die auf
stärkere Regulierung hinauslaufen, sind Unsinn."
Rogier Chorus von der Society of European Affairs Professionals (SEAP),
einer Gesellschaft von 150 Lobbyisten, die jede Form der Regulierung
von Lobbytätigkeit bekämpft, erklärte, er sei "etwas
erstaunt" über die Initiative, da die SEAP einen freiwilligen
Codex ethischen Verhaltens für Lobbyisten entwickelt habe. Er
sagte: "Ich würde das [die Offenlegung von Namen und
Tätigkeit] zu diesem Zeitpunkt nicht akzeptieren."
Arrogant forderte er die Kommission auf, sie solle "ihre Hausaufgaben
machen", beschuldigte sie der Korruption und sagte, sie solle zuerst
vor der eigenen Tür kehren und dafür sorgen, dass ihr
Personal "weniger empfänglich für Bestechungsgelder" sei.
Er stellte die Fakten auf den Kopf und behauptete, eine Offenlegung der
Auftrags-Lobbyarbeit würde es den kleineren Interessengruppen
erschweren, sich Gehör zu verschaffen. Der Umstand, dass die
"kleineren Interessengruppen", wie zum Beispiel einfache Arbeiter,
überhaupt nicht in der Lage sind, den Lobbyisten fette Honorare zu
zahlen, schien ihm offensichtlich entgangen zu sein.
Die SEAP-Mitglieder wurden aufgefordert, sich in einem Kurs des
European Training Institute mit ihrem Verhaltenscodex vertraut zu
machen. Eine Vorstellung davon, worin ein solches Training besteht,
kann man aus einem Interview mit dem ETI-Chef Daniel Guéguen
gewinnen. Laut CEO erwartet Guéguen künftig noch
aggressivere Lobbytaktiken. In dem Interview sagte er: "In Zukunft...
werden wir eher noch härtere [Lobby-]Strategien und immer
raffiniertere Praktiken der Einflussnahme im Interesse der Wirtschaft
anwenden, was bedeutet, dass man wahrscheinlich auf Praktiken der
Manipulation, Destabilisierung oder Desinformation zurückgreifen
wird."